„Luigi Colani und der Jugendstill“ im den Museen Böttcherstraße 13.2. ‐ 19.6.2022
Colanis Design ist Haute Couture
Was hält ein Produktdesigner heute von Luigi Colani? Spielt das „Biodesign“ von Colani in der aktuellen Ausbildung eine Rolle? Um diese und andere Fragen drehte sich ein sehr interessantes Gespräch mit Professor Andreas Kramer von der Hochschule für Künste, Bremen. Natürlich stand ein Rundgang durch die Ausstellung „Luigi Colani und der Jugendstil. Natur Mensch Design“ zu Beginn des fruchtbaren Austauschs. Und wie es sich für einen Experten gehört, drehten sich die Fragen von Andreas Kramer zu den Ausstellungsstücken weniger um Inhalte, als um Details wie Material und Herstellung. Allerdings kannte auch er viele Produkte, Entwürfe und Prototypen in der Präsentation nicht– was jedoch vor allem damit zu tun hat, dass etwa 70 Prozent aller Entwürfe von Colani nie in Produktion gegangen sind.
Andreas Kramer erlebte die „Berliner Schnauze“ während seines Studiums an der Universität Wuppertal bei einem Besuch des enfant terrible in einem Seminar hautnah. „Es war schon sehr amüsant, Colani zu erleben. Wegen seiner Kompromisslosigkeit und seiner Ideologie galt Luigi Colani eher als Künstler. Er war bestimmt kein Designer im Sinne eines Dienstleisters, der sich als Teil eines Teams versteht und bereit ist Kompromisse zu machen.“ Das ist vielleicht auch der Grund, warum Colanis Design in der Ausbildung von Andreas Kramer in den späten 1980er Jahren keine Rolle spielt.
Mich interessierte jedoch, inwiefern „Biodesign“ allgemein – wie Colani selbst seine Formensprache nannte – heute bei der Ausbildung als Gestalter bzw. Designer eine Rolle spielt. Luigi Colani und die Künstler des Jugendstils einte ja unter anderem, dass die Natur als wichtigste Inspirationsquelle diente. „90 Prozent Natur, 10 Prozent Colani“, formulierte der polarisierende Designer einst den Stellenwert der Natur für seine Designs. Andreas Kramer würde Colanis Design nicht als „Biodesign“ bezeichnen. „Für mich spielt in Colanis Design die Natur vor allem eine Rolle, wenn es um die Formen geht. Er orientierte sich an der menschlichen Anatomie, ja, und dadurch sind zum Beispiel seine Computermäuse aus den 1990er-Jahren und auch Stühle aus den 1970ern schon sehr fortschrittlich.“ DAS „Biodesign“ als solches gibt es in den Augen des Professors eigentlich nicht. „Es sind viele verschiedene Aspekte, die heutzutage bei der Gestaltung von Produkten und deren Auswirkungen auf unsere Umwelt wichtig sind. Biodiversität, Nachhaltigkeit, UpCycling, um nur ein paar zu nennen. In meinen Augen sollte jedoch immer das Ziel im Vordergrund stehen, das optimale Material und die optimale Form für ein spezifisches Produkt zu finden – und dadurch die Nutzung und Lebensdauer der Produkte zu verlängern.“
Luigi Colanis Design sieht Kramer eher als eine Art „Haute Couture“ des Produktdesigns, in der es vor allem um eine Philosophie und Vision geht. „In meinen Augen war es vor allem sein grenzenloses Denken und seine Funktion als Impulsgeber, die Colani durchaus eine wichtige Stellung in der deutschen Design-Geschichte einräumen. Bei Gebrauchsgegenständen ist es in der Praxis jedoch ab und zu notwendig, weniger ideologisch als rational zu denken. Ein Container erfüllt nun einmal eckig am besten seinen Zweck, und nicht rund.“ Fasziniert zeigt sich Kramer in der Ausstellung vor allem von dem Manifest Ylem, das er 1971 veröffentlichte. Darin erscheinen viele Zeichnungen und Entwürfe fantastisch und eher wie aus einem Science-Fiction-Film. „Das kann inspirieren und erfrischt,“ so Kramer.
Dass ein Designer heute noch provoziert, wie es Colani seinerzeit getan hat, meint Kramer, wird eher schwierig, denn: „Unser Zeitalter ist geprägt von Individualismus, davon, dass alles erlaubt und nichts verboten ist. Da ist es schwer anzuecken.“ Colanis Design und Ideen sind immer auch im Kontext seiner Zeit zu sehen. „Damals fand Colani mit seiner natürlichen, fließenden Formensprache etwas Neues, mit dem er Diskussionen auslösen und den Kanon in Frage stellen konnte. Und er war die richtige Persönlichkeit dafür.“ Ob Colanis Design wieder aktuell wird? „Das Produktdesign unterliegt wie die Mode auch Schwankungen. Vorhersagen sind da nicht möglich.“ Allerdings hofft Andreas Kramer, dass Nachhaltigkeit, Ressourcenoptimierung und Biodiversität keine flüchtige Modeerscheinung sind und ist optimistisch: „Durch den 3D-Druck und die computergesteuerte Morphogenese von Produkten ist es heute zum Beispiel möglich, den Materialbedarf zu optimieren.“
Das wäre sicherlich ganz im Sinne des Ultraleichtbauers Luigi Colani, auch wenn der talentierte Zeichner und studierte Bildhauer bei seinen Prototypen und Entwürfen wahrscheinlich weiterhin auf den Computer verzichtet und selbst Hand angelegt hätte.